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Press087Stefano Vastano ist Journalist und Philosoph. Derzeit schreibt er einen Essay über die Philosophie von Peter Sloterdijk für den Verlag "Mimesis", Mailand.
Die Kunst, die Balance zwischen Realität und Digitalem zu finden
Seien wir ehrlich, die Digitalisierung macht uns Angst, und doch nutzen wir sie jeden Tag, in einer ihrer unzähligen Apps, für unsere Arbeit, unsere alltägliche Kommunikation oder für Videospiele und Unterhaltung jeder Art. Sobald wir aber diese Namen aus ihrer Galaxie hören – KI, die künstliche Intelligenz, die Roboter … - macht sie uns sofort Angst. Da überkommt uns schnell die Panik, dass "Maschinen" uns überholen, die "Macht" übernehmen und uns schließlich, früher oder später überlegen sein werden. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts thematisieren viele Filme - von Fritz Langs "Metropolis" bis zum "Terminator"-Epos - genau diese „heiligen“ Ängste und Schrecken, diese uralten Phobien vor der emotionslosen, kalten "Maschine", die von unserem Leben Besitz ergreift. Genau deshalb ist die Ausstellung, die wir in Leipzig besucht haben und die von Richard Castelli, einem führenden Experten für digitale Kunst, kuratiert wurde, ein wichtiges Ereignis, das einen Schritt nach vorn bedeuten könnte, um das Phänomen der "Digitalen Kunst" zu beleuchten. "Ich wollte die Besucher verwirren und zeigen, wie sich die digitale Kunst heute auf mehreren Ebenen bewegt und eine große, hybride Familie von künstlerischen Positionen schafft", erklärt Castelli. Es ist daher kein Zufall, dass die Ausstellung den Titel "Dimensionen" trägt und noch bis zum 9. Juli in einer alten Maschinenfabrik in Leipzig Werke von 60 Künstlern zeigt. Eine Gelegenheit, zumindest zu versuchen, unsere "Ängste" abzubauen und die "Dimensionen" der digitalen Kunst in all ihren hypertechnologischen Kombinationen und Facetten zu entdecken. Man kann zum Beispiel die ‘menschlicheren’, auch die ironischen Aspekte der Digitalen Kunst entdecken, oder die kritischeren und sogar die "politischen" Dimensionen in einigen der ausgestellten Werke. Angefangen bei den filigranen, fast transparenten Skulpturen aus Licht und Nylon, die Ivana Franke gewebt hat und mit denen sie die Ausstellung in Leipzig eröffnet. "Mich interessiert die Beziehung zwischen mathematischer Logik, Algorithmen und Figuren im Raum", erklärt die kroatische Künstlerin und stellt uns ihre filigranen Lichtstrukturen vor, die sie bis ins kleinste geometrische Detail am Computer geschaffen hat. Bei so viel zarter Leuchtkraft und gleichzeitig nächtlicher Reflexe findet sich in ihren Arbeiten auch ein Bezug "zu den verschwundenen Glühwürmchen, von denen Pier Paolo Pasolini sprach”, so Franke weiter. Werke also, die wie digitale Glühwürmchen Haut und Farbe wechseln, sobald wir uns bewegen. Um uns die Antipathie vor "computergenerierter" Kunst zu nehmen, hat Castelli der Ausstellung einen historischen Untertitel gegeben: "Digitale Kunst seit 1859". In diesem Jahr stellte Francois Willème in seinem Atelier 24 Kameras in einem Kreis auf, mit denen er seine Modelle aus ebenso vielen Winkeln fotografierte, um seine unglaublich plastischen Fotoskulpturen zu schaffen. "Auf diese Weise schafft Willème den Ursprung unseres digitalen Druckers oder des modernen 3D-Scans", sagt Castelli nicht ohne Stolz . In der Ausstellung wimmelt es in der Tat von verschiedenen, kleinen ‘Smart-Säulen’. An der Basis sind sie mit einem QR-Code versehen, den man fotografieren kann, und sobald man sein Handy auf den Sockel legt, erscheinen nun wie durch ein Wunder die von verschiedenen Künstlern (und Technikern) geschaffenen "digitalen Skulpturen". Auf meinem Mobiltelefon hatte ich die "digitale Statuette" von Francois Willème mit seinem langen Spitzbart, langem Haar und romantischer Künstlerjacke aus dem späten 19. Jahrhundert. Im fließenden digitalen Universum überarbeiten und erfinden sich Künstler nicht nur selbst am Computer mit Tausenden von Kreaturen, Videos oder Avataren neu, sondern sie haben auch Spaß daran, seltsame "wissenschaftliche Modelle", verrückte Evolutionstheorien, delikate und lustige "Lebewesen" digital neu zu erfinden. So wie die wunderbare "umgekehrte Phylogenese", die Golnaz Behrouznia & Dominique Peysson am Computer gestaltet haben. Sie haben praktisch die ganze Atmosphäre eines obskuren Labors erfunden, mit Destillierapparaten und staubigen Fläschchen und dazugehörigen erklärenden "Tabellen", um ihre erfundenen, evolutionären "Monster" vorzustellen. Kurz gesagt ist dies eine Installation, in der wir sehen, wie sich eine "umgekehrte Evolution" entwickelt, bestehend aus fantastischen Quallen, Insekten und Fossilien, die noch nie gesichtet worden sind. Es sind alles PC-Kreaturen, die natürlich nie existiert haben, aber auf jeden Fall sehr luminös sind. Die riesigen Wände der ehemaligen Leipziger Fabrik sind fast in jedem Raum mit Mega-Bildschirmen und Videos voller intelligenter Avatare tapeziert. Sie beobachten uns, sie lächeln uns an, oder sie laden uns zum Spielen ein und kommunizieren auf ihre schräge Art mit uns. Allerdings erschrecken und ängstigen sie uns auch mit all ihren geschwollenen Muskeln, elektrischen Farben und Lichtern. Lu Yang, eine der bekanntesten Digitalkünstlerinnen Shanghais, hat ein anderes “Ich” entworfen, und zwar in der Rolle einer faszinierenden Superheldin. In der digitalen Welt erscheint sie in einem schwarz-grün phosphoreszierenden, ultra-sexy Kostüm auf der Leinwand, über und über mit Sensoren ausgestattet. Ihre pseudo-anatomischen digitalen Rekonfigurationen des "Gehirns" und der Attribute asiatischer Götter sind ebenfalls sehr grotesk, und entweihend. Dies ist auch ein relevanter Aspekt der digitalen Kunst: die Entweihung von Mythen und Legenden der Popkultur, die Demaskierung des Volksglaubens oder sogar von Religionen. Die Videos des neuen "Détournement"-Trends sind im Grunde nichts anderes als subtile, raffinierte Parodien der Popkultur. Es geht darum, die klassischsten Kung-Fu-Filme “umzudrehen", sie dann mit politischen Subtexten oder penetranten philosophischen Thesen zu ‘infiltrieren’, wie es Hu Jieming in seinen Parodien bestimmter chinesischer Serien tut. Der Kontrast zwischen den aggressiven Serien, Filmen und Kampfsportszenen und dem pompösen, ultra-intellektuellen Kommentar könnte nicht größer bzw. sarkastischer sein. Anderseits kann Digitale Kunst mit all ihren avantgardistischen Technologien auch mit Zeitlupeneffekten spielen, um die alten ‘Retro-Techniken’ zu imitieren. In den Videoanimationen von Susanne Wagner beispielsweise erscheint die Künstlerin selbst auf dem Bildschirm. Und siehe da: mit einer einfachen Kurbel in der Hand und einem elektrischen Kabel auf dem Boden leuchtet sie wie in einer Zeitlupe auf, als wäre sie eine neo-romantische bayerische Madonna. In einem anderen ihrer Video-Triptychen sehen wir einen jungen Bildhauer in zerstörerischer Raserei und Wut vollkommen von seiner Arbeit absorbiert. Er zerlegt da Stück für Stück eine ganze Lichtskulptur, bestehend aus filigranen Neonröhren in leuchtenden Mondrian-Farben. Genial ist auch die sehr leichte, fast primitive Installation "Der Mensch bei der Arbeit". Es handelt sich um eine Art prähistorischen, klapprigen "Projektor", den Julien Maire mit vielen kleinen Dias (jedes vom Künstler selbst handgefertigt) auf einem wackeligen Gummiband zusammengebaut hat. An der gegenüberliegenden Wand ist nun eine amüsante "Kino-Skulptur" eines Bergmanns bei der Arbeit zu sehen, die unweigerlich an die allerersten Schwarz-Weiß-Filme erinnert, aber in digitalem Format "überarbeitet" wurde. Die spektakulärsten Werke sind allerdings die, die in der Abteilung für Roboterkunst zu sehen sind. Mit einer 3D-Brille auf der Nase werden wir in die unglaublichen, stereoskopischen Tunnel des Videos "La Dispersion du Fils" von Michel Bruyère komplett eingetaucht. Es ist ein ganzes Universum aus Klängen, Farben und Bildern, das uns buchstäblich in einen dreidimensionalen Strudel saugt. Die Klänge und Lichter der "3D Water Matrix", einer echten Lichtfontäne, die von Shiro Takatani synthetisiert wurde und Wasserfälle und digitale Lichter synchronisiert, ziehen uns sofort in ihren magischen Bann. Das Wunder, das die digitalen Kunst-Universen auslösen, ist jedoch die "immersive" Fähigkeit, die durch die neuen Technologien hervorgerufen wird. Sarah Kenderdine und Jeffrey Shaw haben es beispielsweise geschafft, eines der größten Meisterwerke der Kunstgeschichte, Leonardos "Felsgrottenmadonna" (1483-1486), ohne Furcht und ohne Hemmungen neu zu programmieren, und im digitalen Format zu reanimieren. Alles, was wir brauchen, ist ein i-Pad, und in ihrem 70 Quadratmeter großen Installationsraum können wir nun jeden Millimeter der Höhlen, die Leonardo in seinem Gemälde nur angedeutet hat, wie "von innen" sehen. “Digitale Kunst" bedeutet also mehr als nur eine Technik oder eine abstrakte Chiffre: sie ist eine große Familie verschiedenster Anwendungen, Installationen und Videos. Sie ist eine Kunstform, die desakralisierend, aber auch ironisch, ja schockierend wirken kann. Sie ermöglicht es uns aber auch, die Kunstgeschichte "neu zu erfinden", sie in unseren Alltag zu implementieren und unsere Wahrnehmungen zu "erweitern". "Heute müssen wir ein Gleichgewicht zwischen der Realität und den digitalen Dimensionen finden", erklärt Kurator Castelli, "die verschiedenen Formen der digitalen Kunst haben bereits einen neuen ‘Klassizismus’ um uns herum aufgebaut”. Ja, ob es sich um die durch den Computer "erweiterte" Realität, die zunehmend fließenden Identitäten der Künstler selbst oder die modifizierten Wahrnehmungen der Besucher handelt, das wichtigste ist, dass wir die üblichen Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Digitalen verlieren. Wie zum Beispiel, wenn man die extremsten Räume der Ausstellung betritt und in den "digitalen Nebel" eintaucht, den Kurt Hentschläger in seinem Werk "ZEE" geschaffen hat. Die Familie der Digitalen Kunst ist so diffus und vielfältig, dass wir in Leipzig auch "mythologische" Arbeiten finden, wie die beeindruckende Installation "Le Chemin de Damastès". Jean Michel Bruyère hat in einem großen Raum 21 OP-Liegen aufgereiht, die miteinander synchronisiert sind. Und plötzlich sind wir da überrascht von den knarrenden Geräuschen dieser Betten, in denen der Künstler mit Hilfe von Robotern die griechische Sage vom "Knochen-brechenden" Bett des Prokrustes einfach neu inszenieren wollte. Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass diese ganze digitale Welt heute in einer verlassenen ehemaligen Fabrik ausgerechnet in Leipzig wiederbelebt wird, die Stadt, in der Leibniz geboren wurde, der Philosoph und Universalgelehrte, der mit seiner binären Logik die ersten logischen Bausteine der Informatik schuf. Exakt die mathematisch-digitale Welt, in die wir heute alle, ob gewollt oder ungewollt, 24 Stunden am Tag und von Kopf bis Fuß eingetaucht sind.
Stefano Vastano
Die Kunst, die Balance zwischen Realität und Digitalem zu finden
Seien wir ehrlich, die Digitalisierung macht uns Angst, und doch nutzen wir sie jeden Tag, in einer ihrer unzähligen Apps, für unsere Arbeit, unsere alltägliche Kommunikation oder für Videospiele und Unterhaltung jeder Art. Sobald wir aber diese Namen aus ihrer Galaxie hören – KI, die künstliche Intelligenz, die Roboter … - macht sie uns sofort Angst. Da überkommt uns schnell die Panik, dass "Maschinen" uns überholen, die "Macht" übernehmen und uns schließlich, früher oder später überlegen sein werden. Seit Anfang des letzten Jahrhunderts thematisieren viele Filme - von Fritz Langs "Metropolis" bis zum "Terminator"-Epos - genau diese „heiligen“ Ängste und Schrecken, diese uralten Phobien vor der emotionslosen, kalten "Maschine", die von unserem Leben Besitz ergreift. Genau deshalb ist die Ausstellung, die wir in Leipzig besucht haben und die von Richard Castelli, einem führenden Experten für digitale Kunst, kuratiert wurde, ein wichtiges Ereignis, das einen Schritt nach vorn bedeuten könnte, um das Phänomen der "Digitalen Kunst" zu beleuchten. "Ich wollte die Besucher verwirren und zeigen, wie sich die digitale Kunst heute auf mehreren Ebenen bewegt und eine große, hybride Familie von künstlerischen Positionen schafft", erklärt Castelli. Es ist daher kein Zufall, dass die Ausstellung den Titel "Dimensionen" trägt und noch bis zum 9. Juli in einer alten Maschinenfabrik in Leipzig Werke von 60 Künstlern zeigt. Eine Gelegenheit, zumindest zu versuchen, unsere "Ängste" abzubauen und die "Dimensionen" der digitalen Kunst in all ihren hypertechnologischen Kombinationen und Facetten zu entdecken. Man kann zum Beispiel die ‘menschlicheren’, auch die ironischen Aspekte der Digitalen Kunst entdecken, oder die kritischeren und sogar die "politischen" Dimensionen in einigen der ausgestellten Werke. Angefangen bei den filigranen, fast transparenten Skulpturen aus Licht und Nylon, die Ivana Franke gewebt hat und mit denen sie die Ausstellung in Leipzig eröffnet. "Mich interessiert die Beziehung zwischen mathematischer Logik, Algorithmen und Figuren im Raum", erklärt die kroatische Künstlerin und stellt uns ihre filigranen Lichtstrukturen vor, die sie bis ins kleinste geometrische Detail am Computer geschaffen hat. Bei so viel zarter Leuchtkraft und gleichzeitig nächtlicher Reflexe findet sich in ihren Arbeiten auch ein Bezug "zu den verschwundenen Glühwürmchen, von denen Pier Paolo Pasolini sprach”, so Franke weiter. Werke also, die wie digitale Glühwürmchen Haut und Farbe wechseln, sobald wir uns bewegen. Um uns die Antipathie vor "computergenerierter" Kunst zu nehmen, hat Castelli der Ausstellung einen historischen Untertitel gegeben: "Digitale Kunst seit 1859". In diesem Jahr stellte Francois Willème in seinem Atelier 24 Kameras in einem Kreis auf, mit denen er seine Modelle aus ebenso vielen Winkeln fotografierte, um seine unglaublich plastischen Fotoskulpturen zu schaffen. "Auf diese Weise schafft Willème den Ursprung unseres digitalen Druckers oder des modernen 3D-Scans", sagt Castelli nicht ohne Stolz . In der Ausstellung wimmelt es in der Tat von verschiedenen, kleinen ‘Smart-Säulen’. An der Basis sind sie mit einem QR-Code versehen, den man fotografieren kann, und sobald man sein Handy auf den Sockel legt, erscheinen nun wie durch ein Wunder die von verschiedenen Künstlern (und Technikern) geschaffenen "digitalen Skulpturen". Auf meinem Mobiltelefon hatte ich die "digitale Statuette" von Francois Willème mit seinem langen Spitzbart, langem Haar und romantischer Künstlerjacke aus dem späten 19. Jahrhundert. Im fließenden digitalen Universum überarbeiten und erfinden sich Künstler nicht nur selbst am Computer mit Tausenden von Kreaturen, Videos oder Avataren neu, sondern sie haben auch Spaß daran, seltsame "wissenschaftliche Modelle", verrückte Evolutionstheorien, delikate und lustige "Lebewesen" digital neu zu erfinden. So wie die wunderbare "umgekehrte Phylogenese", die Golnaz Behrouznia & Dominique Peysson am Computer gestaltet haben. Sie haben praktisch die ganze Atmosphäre eines obskuren Labors erfunden, mit Destillierapparaten und staubigen Fläschchen und dazugehörigen erklärenden "Tabellen", um ihre erfundenen, evolutionären "Monster" vorzustellen. Kurz gesagt ist dies eine Installation, in der wir sehen, wie sich eine "umgekehrte Evolution" entwickelt, bestehend aus fantastischen Quallen, Insekten und Fossilien, die noch nie gesichtet worden sind. Es sind alles PC-Kreaturen, die natürlich nie existiert haben, aber auf jeden Fall sehr luminös sind. Die riesigen Wände der ehemaligen Leipziger Fabrik sind fast in jedem Raum mit Mega-Bildschirmen und Videos voller intelligenter Avatare tapeziert. Sie beobachten uns, sie lächeln uns an, oder sie laden uns zum Spielen ein und kommunizieren auf ihre schräge Art mit uns. Allerdings erschrecken und ängstigen sie uns auch mit all ihren geschwollenen Muskeln, elektrischen Farben und Lichtern. Lu Yang, eine der bekanntesten Digitalkünstlerinnen Shanghais, hat ein anderes “Ich” entworfen, und zwar in der Rolle einer faszinierenden Superheldin. In der digitalen Welt erscheint sie in einem schwarz-grün phosphoreszierenden, ultra-sexy Kostüm auf der Leinwand, über und über mit Sensoren ausgestattet. Ihre pseudo-anatomischen digitalen Rekonfigurationen des "Gehirns" und der Attribute asiatischer Götter sind ebenfalls sehr grotesk, und entweihend. Dies ist auch ein relevanter Aspekt der digitalen Kunst: die Entweihung von Mythen und Legenden der Popkultur, die Demaskierung des Volksglaubens oder sogar von Religionen. Die Videos des neuen "Détournement"-Trends sind im Grunde nichts anderes als subtile, raffinierte Parodien der Popkultur. Es geht darum, die klassischsten Kung-Fu-Filme “umzudrehen", sie dann mit politischen Subtexten oder penetranten philosophischen Thesen zu ‘infiltrieren’, wie es Hu Jieming in seinen Parodien bestimmter chinesischer Serien tut. Der Kontrast zwischen den aggressiven Serien, Filmen und Kampfsportszenen und dem pompösen, ultra-intellektuellen Kommentar könnte nicht größer bzw. sarkastischer sein. Anderseits kann Digitale Kunst mit all ihren avantgardistischen Technologien auch mit Zeitlupeneffekten spielen, um die alten ‘Retro-Techniken’ zu imitieren. In den Videoanimationen von Susanne Wagner beispielsweise erscheint die Künstlerin selbst auf dem Bildschirm. Und siehe da: mit einer einfachen Kurbel in der Hand und einem elektrischen Kabel auf dem Boden leuchtet sie wie in einer Zeitlupe auf, als wäre sie eine neo-romantische bayerische Madonna. In einem anderen ihrer Video-Triptychen sehen wir einen jungen Bildhauer in zerstörerischer Raserei und Wut vollkommen von seiner Arbeit absorbiert. Er zerlegt da Stück für Stück eine ganze Lichtskulptur, bestehend aus filigranen Neonröhren in leuchtenden Mondrian-Farben. Genial ist auch die sehr leichte, fast primitive Installation "Der Mensch bei der Arbeit". Es handelt sich um eine Art prähistorischen, klapprigen "Projektor", den Julien Maire mit vielen kleinen Dias (jedes vom Künstler selbst handgefertigt) auf einem wackeligen Gummiband zusammengebaut hat. An der gegenüberliegenden Wand ist nun eine amüsante "Kino-Skulptur" eines Bergmanns bei der Arbeit zu sehen, die unweigerlich an die allerersten Schwarz-Weiß-Filme erinnert, aber in digitalem Format "überarbeitet" wurde. Die spektakulärsten Werke sind allerdings die, die in der Abteilung für Roboterkunst zu sehen sind. Mit einer 3D-Brille auf der Nase werden wir in die unglaublichen, stereoskopischen Tunnel des Videos "La Dispersion du Fils" von Michel Bruyère komplett eingetaucht. Es ist ein ganzes Universum aus Klängen, Farben und Bildern, das uns buchstäblich in einen dreidimensionalen Strudel saugt. Die Klänge und Lichter der "3D Water Matrix", einer echten Lichtfontäne, die von Shiro Takatani synthetisiert wurde und Wasserfälle und digitale Lichter synchronisiert, ziehen uns sofort in ihren magischen Bann. Das Wunder, das die digitalen Kunst-Universen auslösen, ist jedoch die "immersive" Fähigkeit, die durch die neuen Technologien hervorgerufen wird. Sarah Kenderdine und Jeffrey Shaw haben es beispielsweise geschafft, eines der größten Meisterwerke der Kunstgeschichte, Leonardos "Felsgrottenmadonna" (1483-1486), ohne Furcht und ohne Hemmungen neu zu programmieren, und im digitalen Format zu reanimieren. Alles, was wir brauchen, ist ein i-Pad, und in ihrem 70 Quadratmeter großen Installationsraum können wir nun jeden Millimeter der Höhlen, die Leonardo in seinem Gemälde nur angedeutet hat, wie "von innen" sehen. “Digitale Kunst" bedeutet also mehr als nur eine Technik oder eine abstrakte Chiffre: sie ist eine große Familie verschiedenster Anwendungen, Installationen und Videos. Sie ist eine Kunstform, die desakralisierend, aber auch ironisch, ja schockierend wirken kann. Sie ermöglicht es uns aber auch, die Kunstgeschichte "neu zu erfinden", sie in unseren Alltag zu implementieren und unsere Wahrnehmungen zu "erweitern". "Heute müssen wir ein Gleichgewicht zwischen der Realität und den digitalen Dimensionen finden", erklärt Kurator Castelli, "die verschiedenen Formen der digitalen Kunst haben bereits einen neuen ‘Klassizismus’ um uns herum aufgebaut”. Ja, ob es sich um die durch den Computer "erweiterte" Realität, die zunehmend fließenden Identitäten der Künstler selbst oder die modifizierten Wahrnehmungen der Besucher handelt, das wichtigste ist, dass wir die üblichen Vorbehalte und Ängste gegenüber dem Digitalen verlieren. Wie zum Beispiel, wenn man die extremsten Räume der Ausstellung betritt und in den "digitalen Nebel" eintaucht, den Kurt Hentschläger in seinem Werk "ZEE" geschaffen hat. Die Familie der Digitalen Kunst ist so diffus und vielfältig, dass wir in Leipzig auch "mythologische" Arbeiten finden, wie die beeindruckende Installation "Le Chemin de Damastès". Jean Michel Bruyère hat in einem großen Raum 21 OP-Liegen aufgereiht, die miteinander synchronisiert sind. Und plötzlich sind wir da überrascht von den knarrenden Geräuschen dieser Betten, in denen der Künstler mit Hilfe von Robotern die griechische Sage vom "Knochen-brechenden" Bett des Prokrustes einfach neu inszenieren wollte. Es ist ja auch nicht verwunderlich, dass diese ganze digitale Welt heute in einer verlassenen ehemaligen Fabrik ausgerechnet in Leipzig wiederbelebt wird, die Stadt, in der Leibniz geboren wurde, der Philosoph und Universalgelehrte, der mit seiner binären Logik die ersten logischen Bausteine der Informatik schuf. Exakt die mathematisch-digitale Welt, in die wir heute alle, ob gewollt oder ungewollt, 24 Stunden am Tag und von Kopf bis Fuß eingetaucht sind.
Stefano Vastano